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Der Wein von Samos

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2017-08-29 2017-08-29 29.08.2017

Ohne den Samaina gäbe es Probleme beim französischen Weinbrand und in der katholischen Kirche

Die kleine, urgemütliche Platia des Gebirgsdörfchens Vourliotes dampft. Hier ist am ersten Junisonntag 2014 gerade ein fünfstündiger Platzregen niedergegangen, in einem solchen Ausmaß, dass selbst die Hundertjährigen nur staunen können und sie in ihrem langen Leben so etwas noch nicht erlebt haben. Entsprechend menschenleer ist der wunderschöne Platz. Nur im Kafenion „Eleni & Diamantis Place“ finde ich, selbst triefnass, eine Frau und zwei Männer. Vielleicht habe ich ja Glück und einer der drei kann mir etwas über den berühmten Vourliotes-Wein erzählen. Und, wie es der Zufall, den es nicht gibt, will, ist Diamantis Lagos ein Weingärtner für den Eigengebrauch - 200 bis 300 Liter pro Jahr erntet er mit seiner Familie - und sein Freund Kostas Mastroyiannis, der 30 – 50 Tonnen Trauben pro Jahr für die Einossi (EOSS) produziert, darf sich gar als Winzer mit dem Titel „Best Producer in the Vourioto Aerea“ schmücken.

Die Einoussi hat seit ihrer Gründung im Jahr 1934 de facto das Monopol auf die Vermarktung der Samos-Weine. Ihr gehören etwa 30 samiotische Winzergenossenschaften an, die kleinsten davon umfassen indes gerade einmal drei oder vier Winzer. Den Hauswein, der in den Tavernen von Samos ausgeschenkt wird, dürfen auch „freie“ Weinbauern anbauen und ausliefern, oftmals ist er, besonders der Rote des letzten Herbstes, mit „gewöhnungsbedürftig“ aber noch sehr freundlich beschrieben. In unserem inzwischen recht lebhaften Gespräch verteidigt Kostas die Einoussi, die nicht alle Winzer mögen, vehement: „Ohne die strengen Kontrollen der Kooperative wäre die hohe Qualität unserer Weine, die wir in alle Welt exportieren, nicht möglich. Die EOSS hält als Monopol-Vermarkter auch die Preise hoch, etwa 12-15 € für die 0,7 Literflasche des Süßen Moscato Nectar oder 6-7 € für einen Samaina der trockenen Variante. Letztendlich sorgt die „Übergenossenschaft“ auch dafür, dass so wenig wie möglich Chemie im Weinberg eingesetzt wird. Die Begrenzung liegt heute bei maximal einem Liter Schädlingsbekämpfungsmittel für 2.000 qm Anbaufläche pro Saison, früher kam ein Vielfaches hiervon zur Anwendung.“

Früher war aber auch die Weingewinnung anders. Noch vor 15 oder 20 Jahren wurden die Trauben in Vourliotes nach der Lese im September von barfüßigen Mädchen und Frauen zertreten. Der Most floss danach durch ein Loch im Boden in die Kelter, wo er in Fässern aufgesammelt und später von den einzelnen Weinbauern in der Dermatia, einer Art großem Ledersack, nach Hause transportiert wurde. 

Die Hauptrebsorte Samos´ ist also die Moscatotraube mit wohl 85% der Gesamtrebfläche. Hinzu gesellen sich etwa 10% Fokiano, der Rest teilt sich im Wesentlichen auf Kolokythato und Sultanina auf. Diamantis und Kostas schwärmen darüber hinaus für den Wein aus der roten Traube Angustiatis, die insbesondere in der Region um Karvonis höchste Qualitäten hervorbringen soll. Schauen wir uns doch einmal an, welche Kreationen die Einoussi aus diesen Rebsorten hervorbringt. Da wäre zunächst der Grand Cru, der den überreifen kleinen Moscato-Beeren der mittleren Gebirgsregion entstammt. Volle Süße mit extremen Duftkompositionen springt dem Weinfreund beim Sweet Nectar in die Nase. Vor dem Auspressen werden hier die Moscatotrauben  mehrere Tage in der Sonne getrocknet. Der Vin Doux ist die klassische Ausfertigung des süßen Samos Weines, der Einstieg sozusagen in die Welt der kleinen Moscato Traube, die die Samosweine doch so berühmt gemacht hat. Der Dessertwein Anthemis wird wenigstens fünf Jahre in kleinen französischen Eichenfässern zur Reife gebracht und der „Ecclesiastical“ schließlich soll weltweit die einzige Süßweinkreation sein, die nur an den Vatikan ausgeliefert wird. Dort wird er als Messwein verwendet und ohne ihn würde sicherlich der katholischen Kirche in aller Welt etwas fehlen.

Zu den trockenen Varianten: Der Psilos Korfes ist ein Regionalwein, der an von Menschen geschaffenen bis in zu 1.200 Meter Höhe gelegenen Gebirgsterrassen angebaut wird. Der „Lichtwein“ aus der Region Ampelos gilt als ein ausgesprochen guter Essensbegleiter. Der trockene Samaina besticht neben dem Muskatbouquet in der Nase durch seinen milden Charakter und seine Ausgeglichenheit, ein typischer Sommerwein. Der Honiggeschmack des Golden Samaina sec, verbunden mit „explosiven“ Aromen wiederum ist eine Kreation für Individualisten.

Ein Individualist ist auch Thanasis, der seit drei Jahren mit Ehefrau Patricia die Taverne „Balkoni“ im Bergdorf Koumaradei auf der anderen, der Südseite der Insel, führt. Thanasis, geboren im Norden Griechenlands, war 35 Jahre lang in Berlin „Szenekneipier der gehobenen Art“. Seine ebenso bescheidene wie gewandte Art, wie auch die kleinen Weisheiten, die er wohl im Laufe seines bunten Lebens gesammelt hat, und von denen er gerne ein wenig Gebrauch macht, machen ihn sogleich sympathisch. Das „Balkoni“ hat er in den drei Jahren seit er es übernommen hat, zu einer Institution gemacht, über die bereits eine ganze Reihe in- und ausländischer Gourmetmagazine berichtet hat. 60 Wildkräuter verwendet er in seiner griechischen Traditionsküche, hier ist nichts 08-15, und schon allein der wild-kräftig, beinahe berauschende Duft bleibt mir noch lange in der Nase. Der Ausblick von der Terrasse über die blühende Insel ist  gigantisch und für Naturliebhaber noch überwältigender. Der Weinkenner Thanasis erzählt auch gerne über den heimischen Retsina und hält dessen Einfachheit auch heute, da er kaum noch getrunken wird, für fast immer genießenswert, gesund darüber hinaus, durch den Zusatz von Harz ausschließlich des Pinienbaumes. Thanasis Weinphilosophie für die Samainas lautet: Je höher, desto besser. Der Traubenanbau für die Besten sollte nach seiner Ansicht auf einer Höhe von 400 – 1000 Metern liegen. „Die sandigen, trockenen Böden dort geben, gepaart mit einer feurigen Sonneneinstrahlung, zum Beispiel dem Psilos Korfes die würzig-heiter-erdene Note, die mir besonders schmeckt. Die vielen Kastanienbäume, die dort bereits waren, aber die wir auch neu angepflanzt haben, bringen eine weitere Komponente in die Weine ein. Ohne die exzellenten Süßweine von hier gäbe es auch nicht die berühmten französischen Weinbrände Wie sie auch alle heißen mögen, den meisten vom ihnen ist, was weitgehend kaum jemand weiß, etwa 15% süßer Samaina zur Geschmacksabrundung beigefügt.“ Einziger Nachteil des „Balkoni“: Abgelegen und nur mit dem Taxi zu erreichen, da eben auch hier Wein und Autobenutzung nicht so recht zusammenpassen. Dazu noch einmal der Tavernenwirt: „Ich habe diesen Ort wegen seiner Schönheit und seiner Authentizität gewählt. Natürlich könnte ich unten in den Touristenorten Pythagorion oder Kokkari ein Vielfaches verdienen, aber dann hätte ich auch gleich in Berlin bleiben können. Ich liebe die Bergluft und den Duft der Freiheit!“

Die Weinlandschaft von Samos darf man sich nicht wie in Deutschland oder Frankreich vorstellen. In den Regionen Platanos, Lekka, Kastanion oder Ireon und Pirgos werden die Reben oftmals in „Vorgärten“, 50 mal 50 Meter groß, zwischen Obstbäumen und Gemüse, angebaut. Nur die Bergterrassen zeigen mitunter eine Struktur, wie wir sie aus Westeuropa gewohnt sind, größer, kompetenter, profihafter angelegt, aber auch hier nicht durchgehend wie unsere Weinberge. 

Der Wein von Samos hat eine lange Geschichte. Der Weingott Dionysos soll die Reben der Sage nach persönlich hierher gebracht und der Insel damit einen „göttergleichen Status“ verliehen haben. Vielleicht hat es deshalb auch Pythagoras hierher gezogen, den die meisten von uns nur als genialen Mathematiker kennen. Der aber war vermutlich ein Mystiker, aus eigener Erfahrung „mit dem Göttlichen verbunden oder gar vereinigt“. Das jedoch ist eine andere Geschichte. Der Tradition des Samosweines sollte ich in diesem Frühjahr aber noch zweimal live begegnen. Ein mir seit Jahren bekannter Winzerfreund aus Ireon, der namentlich nicht genannt werden möchte, zeigt mir seine Sammlung von Samos-Weinetiketten, die ältesten so um die 100 bis 120 Jahre alt. Und bei einem Besuch im Weinmuseum von Vathi, der Inselhaupstadt, gerate selbst ich als ein Kenner der Branche ins Staunen. Riesige Holzfässer, uralte Gerätschaften zur Weinbereitung, peinlich genau dokumentiert und ins rechte Licht gesetzt, gleichzeitig Verkostungsstation für die edlen Einossi-Kreszenzen einschließlich des Messweins, Weinatmosphäre pur!